Keine Auslieferung nach Großbritannien
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Das OLG Karlsruhe hat die Auslieferung eines Albaners abgelehnt, den die britische Justiz wegen Drogenhandels und Geldwäsche belangen wollte, und ihn auf freien Fuß gesetzt. Die Begründung: Angesichts der Überfüllung der dortigen Gefängnisse drohe eine unmenschliche Behandlung. In Großbritannien sorgt dies jetzt für Diskussionen.

Dass deutsche Gerichte Auslieferungen in ein Land wie Rumänien wegen der dortigen Haftbedingungen ablehnen, hat es durchaus schon gegeben – so das OLG Celle. Für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland ist es hingegen eine neue Erfahrung, was das OLG Karlsruhe (Az.: 301 OAus 1/23) in einem erst kürzlich veröffentlichten Beschluss aus dem März entschieden hat: Auch auf der Insel gebe es "stichhaltige Gründe" für die Annahme, "dass eine tatsächliche Gefahr für den Schutz der Grundrechte des Verfolgten besteht". Denn die ausführlichen Garantien und Mitteilungen zu den Verhältnissen in den Gefängnissen reichten den badischen Richtern nicht – zumal die britischen Behörden zwei ihnen gesetzte Fristen zu weiteren Auskünften verstreichen ließen.

Von Interpol gesucht

Habhaft werden möchten diese eines Albaners, der unter anderem mit fünf Kilogramm Kokain gedealt und 330.000 britische Pfund (386.000 Euro) gewaschen haben soll. Das Amtsgericht Westminster (Magistrates' Court) hatte einen Haftbefehl nach dem Trade and Cooperation Agreement (TCA) ausgestellt, das das Vereinigte Königreich nach dem Brexit mit der EU geschlossen hat. Vorgeworfen werden dem Mann in dem nationalen Haftbefehl (ein Europäischer Haftbefehl käme hier naturgemäß nicht mehr zum Zuge) sowie in der "Red Notice" von Interpol "Verschwörung zur Lieferung einer kontrollierten Droge der Klasse A in zwei Fällen" und "Verschwörung zur Verschleierung, Umwandlung, Übertragung oder Entfernung von kriminellem Eigentum in vier Fällen" nach dem Criminal Law Act von 1977. In Deutschland befand er sich bei seiner Festnahme, um nach eigenen Angaben seine schwer kranke Lebensgefährtin zu besuchen.

Sein Strafverteidiger Jan-Carl Janssen aus Freiburg hat nach Studienjahren in Glasgow über den Strafvollzug im Vereinigten Königreich promoviert. Er wollte die Auslieferung für unzulässig erklären lassen und trug den Oberlandesrichtern vor: Dem Verfolgten drohe "eine menschenunwürdige Unterbringung in britischen Gefängnissen und damit eine Verletzung von Art. 3 EMRK, Art. 1 GG aufgrund der chronischen Überbelegung des Strafvollzugs, Personalengpässen und massiven Gewaltproblemen in den Strafvollzugseinrichtungen des Vereinigten Königreichs". Teilweise würden Haftstrafen in Anstalten verbüßt, die aus dem viktorianischen Zeitalter stammten und weiter nicht den Mindestanforderungen an Belüftung, Licht und Haftraumgröße genügten. Ein großer Teil sei zudem massiv von Überbelegung betroffen, ein weiterer Teil werde von privaten Anbietern mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben. Neben Kenntnissen aus eigenen Besuchen in britischen Haftanstalten und seinen wissenschaftlichen Beiträgen hierzu berief Janssen sich auf einen Bericht des Antifolterkomitees der EU aus dem Jahr 2022.

Auskünfte und Garantien verlangt

Zweimal forderten die Karlsruher Richter daraufhin Informationen und Zusicherungen von den britischen Behörden – schließlich seien nach der Rechtsprechung des BVerfG die unabdingbaren Gewährleistungen der EMRK und die Rechtsprechung des EuGH Ausdruck der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes. Um sodann eine eigene "Gefahrenprognose" anstellen zu können. Konkret verlangten sie über die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe:

1.) die "Garantie, dass die räumliche Unterbringung und die sonstige Gestaltung der gerade den Verfolgten betreffenden Haftbedingungen in allen den Verfolgten aufnehmenden Haftanstalten während der gesamten Zeit seiner Inhaftierung den europäischen Mindeststandards entsprechen und dem Verfolgten dort keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten droht"

2.) die "Mitteilung, in welcher Haftanstalt bzw. welchen Haftanstalten der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung während der Quarantäne, während der Untersuchungshaft und im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung während der Dauer des Strafvollzugs untergebracht werden wird"

3.) die Mitteilung der vom Verfolgten in allen zuvor benannten Haftanstalten konkret zu erwartenden Haftbedingungen:

"- Wie viele Quadratmeter Bodenfläche stehen pro Person bei Einfach- oder Mehrfachbelegung des Haftraumes zur Verfügung?

- Mit wie vielen Personen wird der Haftraum maximal belegt?

- Verfügt der Haftraum über eine abgetrennte Toilette und ein Waschbecken?

- Ist der Haftraum ausreichend belichtet, belüftet und mit einer Heizung versehen?

- Wird dem Verfolgten einmal täglich ein Hofgang von mindestens einer Stunde gestattet?

- Gibt es Beschäftigungs- und/oder Freizeitmöglichkeiten für die Gefangenen?

- Hat der Verfolgte Zugang zu ärztlicher bzw. medizinischer Versorgung?"

4. die "Garantie, dass die verhängte Strafe oder Maßregel – auf Ersuchen des Verfolgten, spätestens aber nach 20 Jahren – überprüft wird und/oder dass die Anwendung von Gnadenakten, auf die die Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des Ausstellungsstaats Anspruch hat, ermutigt wird mit dem Ziel der Nichtvollstreckung der Strafe"

Im Namen des zuständigen Ministers trafen daraufhin in Deutschland ausführliche Erläuterungen zum britischen Sanktionssystem ein, ebenso die Ankündigung eines umfangreichen Ausbauprogramms der Haftanstalten sowie die Mitteilung einer (Über-)Belegung von 107,5%. Doch diese Angaben des HM Prison & Probation Service (wobei das "HM" zunächst für Her und nun für His Majesty's steht) reichten dem OLG-Senat nicht, woraufhin er eine Nachfrist von neun Tagen setzte – während Strafverteidiger Janssen die Zustände in der nahe gelegenen Haftanstalt "HMP Wandsworth" (His bzw. Her Majesty's Prison) darlegte. Dort seien etwaige Zusagen gar nicht umsetzbar. Weitere Mitteilungen aus dem Vereinigten Königreich trafen nicht mehr ein, woraufhin die Richter die sofortige Freilassung des Albaners anordneten.

Kritik am Strafvollzug auch in England

In Großbritannien hat dieser Vorgang jetzt die Debatte über den Strafvollzug befeuert. Der linksliberale "Guardian" berichtete am heutigen Dienstag ausführlich über die deutsche Gerichtsentscheidung. Der Rechtsanwalt Jonathan Goldsmith, der Ehrenämter in mehreren Berufsorganisationen hat, nannte den Vorgang "another severe rebuke for the British government’s record on the administration of justice". Er sagte: “This is an embarrassment for the UK. There have been similar court decisions before under the European arrest warrant framework, but in relation to member states whose records on prisons and human rights the UK would not wish to compare itself with.”

Ein Sprecher des Justizministeriums erwiderte: “This government is doing more than ever to deliver safe and secure prisons that rehabilitate offenders, cut crime and protect the public. We continue to press ahead with delivering 20,000 additional, modern prison places and our £100m investment in tough security measures – including X-ray body scanners – is stopping the weapons, drugs and phones that fuel violence behind bars.”

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 5. September 2023.